Technische Universität Wien

Die Technische Universität ist über die ganze Stadt verteilt. Ich hätte es mir zwar nie vorstellen können, aber auch ich bin inzwischen hier gelandet (von der Uni Wien). Gefühlt gibt es hier weniger Chaos als auf der Uni Wien, aber das mag täuschen.

DAS GRAB EINES POPSTARS Auf der Spur des Roten Priesters Da in meinem jungen Leben eine schwarzäugige venezianische Schönheit mit Kirschlippen und Cello-​Figur eine nicht unerhebliche Rolle gespielt (mi dispiace, Luisella!) hat, kann ich mir in etwa vorstellen, welche Gefühle das auslöst: als junger, frisch geweihter Priester das Mädchenstreichorchester des Ospedale de Pietà zu leiten und 24 blutjunge, anmutige, mutmaßlich Botticelli-​schöné Venezianerinnen im Spiel der Viola d’Amore zu unterweisen. Ziemlich überstürzt gab der wegen seiner roten Haare als il prete rosso, roter Priester, bekannte Musiker 1703 sein Priesteramt wieder auf. Begründung: una strettezza di petto! Diese Enge der Brust übersetzen heutige Wissenschaftler zumeist mit Angina pectoris oder Asthma, aber ich glaube, ihm war einfach das Herz übergegangen bei so viel (unerreichbarem) Liebreiz im Schatten junger Mädchenblüte. Aber statt an unerfüllten Sehnsüchten zum Neurotiker zu werden, wählte der begnadete Violin-​Virtuose und Komponist den Weg der Sublimation und goß seine Impressionen in die zauberhafteste, anmutigste und beseelteste Musik, die das Barock (neben J. S. Bach & Söhne natürlich) gekannt hat. Dreizehn Jahre blieb der ehemalige Priester am Ospedale, und formte in dieser Zeit aus den jungen Violonistinnen ein Star-​Ensemble von geradezu legendärem Ruf. Zu Abertausenden kamen die Touristen nach Italien, um in der prickelnden, melancholisch-​lebenssüchtigen Atmosphäre der Serenissima dieses sagenhafte Mädchenorchester zu hören (und, sicher, anzuschauen). Der Priester wurde zum Popstar seiner Zeit: Mit seiner ersten großen Sammlung von Konzerten (L’Estro Armonico), 1711 in Amsterdam gedruckt, erobert er Europa. Zwölf solche Hit-​Sammlungen (heute würde er halt Alben einspielen) kamen bis 1729 in Amsterdam heraus, darunter die 12 Konzerte Il cimento dell’armonia e dell’inventione (etwa: Der Wettstreit zwischen Harmonie und Erfindung), von denen die ersten vier zum Ohrwurm für Jahrhunderte avancieren sollten: Le Quattro Stagioni, die Vier Jahreszeiten. Aber der barocke Star kann nicht nur Sonaten und Konzerte schreiben. Die noch junge musikalische Kunst der (weltlichen) Oper fasziniert ihn. Er beginnt neben der Tätigkeit im Waisenhaus, als Impressario am Theater San Angelo zu arbeiten. Über fünfzig rasante, leidenschaftliche, fetzige und geistsprühende Barock-​Opern stammen aus seiner rastlos produktiven Feder, in denen Glanz, karnevaleske Leidenschaft und Melancholie den Geist Venedigs Musik werden lassen. (Daß der Mann, im Eifer der Produktion und zum Geldverdienen verdammt, bei der Komposition seiner rund 500 [!] Konzerte gelegentlich bei sich selber klaut und manchen Einfall mehrfach verwendet, wird man ihm verzeihen: In der heutigen Popmusik sind Cover-​Versionen, Selbstzitate und recycling von harmonischen Einfällen ohnehin gang und gäbe!) Der Star beginnt zu reisen, geht auf Tourneen, spielt zweimal vor dem Papst, gibt Konzerte und inszeniert Opern in Ancona, Ferrara, Reggio, Rom und Verona und Prag, um schließlich als eine Art lebende Legende in seine Heimat zurückzukehren. Hier wird er nun selbst eine Art Touristenattraktion, und Musiker kommen von weit her, um dem maestro dei concerti ihre Verehrung zu erweisen. Und dann, auf dem Zenit des Ruhms beginnt das Unheil. Der Star und seine Musik kommen aus der Mode. Das vergnügungssüchtige, lebenslustige und verwöhnte Konzertpublikum Venedigs will etwas Neues, Anderes. Der Style galant des verspielt-​süßlichen Rokoko löst die Bluthochdruck-​Passioniertheit des schwerblütigen Barock in der Publikumsgunst ab. Man will frivol-​geistvolles Getändel und nicht mehr das Pathos und die Theatralik der barocken Musik, die ihre sakralen Quellen noch nicht vergessen kann. Ganz allmählich gerät hingegen ihr Weltstar in Vergessenheit. Sein Name zieht nicht mehr. Aufträge kommen nicht mehr herein und Verdienstmöglichkeiten gibt es in einer Zeit, der Urheberrechte und Tantiemen noch vergleichsweise unbekannt sind keine mehr. Der Mann, der in heutigen Rechtsverhältnissen ähnlich wie Andrew Lloyd Webber ein Multimillionär wäre, kann seine Rechnungen nicht mehr bezahlen. Nach den Maßstäben der Zeit mit 62 schon ein Greis, reist er verzweifelt in den Norden, nach Wien, um Karl VI. als Mäzen oder Arbeitgeber zu gewinnen. Ein schlechter Zeitpunkt. Der Kaiser stirbt 1740, und der einstmals weltberühmte Venezianer streicht einsam, unerkannt, hustend und frierend durch die Straßen Wiens. Entwurzelt, fern der Heimat, verarmt und wie verstoßen wartet der möglicherweise gottgesandte Engel der Musik, dessen magische Violine einst seine Zeit verzauberte und später Millionen in ihren Bann ziehen sollte in der Donaumetropole auf den Tod. Der kommt schon bald, am 28. Juli 1741. Den Leichnam verscharrte man namenlos im Armengrab auf dem Spitaller Gottesacker vor dem Kärntnertor, dort, wo sich heute das Hauptgebäude der Technischen Universität Wien am Karlsplatz erhebt. Und nicht einmal ein kleiner Gedenkstein

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