London Underground – Customer Service Centre

Gestern hörte ich an irgendeinem U-​Bahnhof in London per ständig plärrender und maximal zur Hälfte verständlicher Lautsprecheransage endlich einen Satz, den ich das ganze Wochenende vermisst hatte. Er lautete sinngemäß so: All lines are running normally, with no station closures.
Dass man so etwas explizit ansagen muss, zeigt vielleicht, dass der zahlende Kunde ohne besonderen Hinweis eine Lage erwartet, wie sie im Zweiten Weltkrieg durch die Abkürzung SNAFU (
) charakterisiert wurde (Situation Normal, All Fucked Up).
Denn genau so (AFU) habe ich den öffentlichen Nahverkehr in und um London herum an diesem Wochenende empfunden.
Es fing damit an, dass der sonst sehr verlässliche Flughafenzug Stansted Express (
) am Samstagmorgen von Stansted aus im Schneckentempo gen London schlich, ohne dass irgendeine Infoansage zu hören war. Statt der in den Anzeigen angepriesenen 35 und der in der Praxis realistischeren 45 Minuten brauchte der Zug weit über eine Stunde.
Dafür kann natürlich London Transport nichts (Stansted Express wird von der unabhängigen National Express Group betrieben). Aber in dem vom Stansted Express vorgegebenen Stil ging es das ganze Wochenende lang weiter.
Manche Linien verkehrten überhaupt nicht, einige waren teilweise nicht verfügbar wovon man an den Stationen durch Aufsteller oder Displays erfuhr:
(
)
Aber meist nur am selben Tag, was die Zeit– und Reise-​Planung für ein Wochenende etwas kompliziert macht.
Dass bestimmte Stationen an eigentlich funktionierenden Linien kurzfristig komplett geschlossen sind, wurde nur in den oben beschriebenen (und oft kaum hörbaren) Lautsprecheransagen verkündet.
Bei mir hatte das zur Folge, dass ich z. B. einen Anschlusszug nach Middlesex verpasste (der nächste ging erst 40 Minuten später). Und dass ich meinen ersten Versuch, mal wieder den prächtigen Hindu-​Tempel Shri Swaminarayan Mandir (
) in Neasden (nahe Wembley) zu besuchen, nach anderthalb verplemperten Stunden abbrechen musste. Die Ersatzbusse an der Wembley-​Park-​Station waren nämlich noch unzuverlässiger als die U-​Bahn.
Ein lustiger Grund für die oben erwähnten kurzfristigen Stationsschließungen wurde in den Plärransagen als non-​availability of staff beschrieben. Laut einer deutschen Kollegin, die seit Jahren in London lebt und arbeitet, liegt dies an einer eher entspannten Arbeitseinstellung: Wenn sich Mitarbeiter einer U-​Bahn-​Station krankmelden, wird nicht versucht, umzudisponieren und möglicherweise Ersatzpersonal von einer Station zur anderen zu verschieben.
Nein, wenn dem Ticketverkäufer der Upper-​Holloway-​Station morgens einfällt, dass er schwächelt und unmöglich Tickets verkaufen kann, dann mutet man es lieber den Fahrgästen zu, zu den Stationen Finsbury Park oder Arsenal zu laufen, als es einem der Ticketverkäufer einer möglicherweise doppelt besetzten Station zuzumuten, in fremder Umgebung Fahrkarten unter die Leute zu bringen.
Damit das ganze Gejammer auch Nutzwert hat, ein Tipp: Wenn ihr in London nicht nur terminlich völlig unbeschwert Urlaub macht, sondern irgendwelche Termine habt, dann macht euch möglichst bei der ersten U-​Bahn-​Fahrt des Tages schlau (oder vorher im Internet), welche Ausfälle es gerade gibt. Und plant auch für die folgenden Strecken des Tages schon die Alternativstrecken.
Wenn es wichtige Anschlussverbindungen zu anderen Verkehrsmitteln gibt (z. B. zu Flughafenzügen), plant unbedingt nicht zu knapp. Es kann kurzfristige Streiks und/​oder Bauarbeiten geben versucht am besten, kurz vor einem wichtigen Trip auf den Websites der betreffenden Verkehrsunternehmen die aktuelle Situation herauszufinden.
Auch der obligatorische Hinweis auf die Oyster Card (
) darf hier nicht fehlen eine Prepaid-​Karte, mit der man bei Londons Öffis viel Geld sparen kann.

Dieser Beitrag kommt nur zustande, weil PJebsen gerade einen sehr schönen zum Thema geschrieben hat — und die Erinnerung an meine Zeit in London ist nicht nur einen Kommentar unter seinem Werk wert, denke ich.
Ich arbeitete eine zeitlang am Maudsley Hospital in London Camberwell. Der Süden Londons scheint dem Touristen ja meistens eher nichtexistent, da er auf der Undeground-​Map kaum erscheint, lediglich die Northern Line sticht gerade in richtung Wimbledon, und im Westen die District. Dass aber dazwischen ein dichtes Netz von Railway-​Linien ist, das zum Verkehrsverband gehört, ist den meisten unbekannt — und entsprechende Netzpläné waren früher kaum zu sehen.
Mein Weg führte mich morgens immer von Wimbledon (dem armen Teil!) nach East Dulwich, mit einer besagter Eisenbahnlinien, damals noch oft mit alten Waggons, speziell nach der Privatisierung nutzte man gern lang altes Material.
Und bei der Arbeit war es eigentlich immer so, dass galt: 9 Uhr Beginn, aber wer mit öffentlichem Verkehr kommt, braucht sich nicht entschuldigen, wenn es mal 1 oder 2 Stunden später wird. Anfangs war mir das nicht klar und ich rannte schwitzend mit germanischer Tugendhaftigkeit durch Gänge von Stationen, im Geiste Alternativrouten planend, brach früh auf, testete neue Buslinien, neue Laufwege, andere Bögen, Straßen, Parks.
Aber immer wieder scheiterte ich an den von PJebsen beschriebenen Systemfehlern im Public Transport. Auf der Arbeit war es eigentlich auch schon üblich, morgens bei der ersten Teepause die neuesten Ausreden zu vergleichen, die man im Lautsprecher auf dem Bahnsteig gehört hatte. Der Vorrat an solchen Begründungen schien unerschöpflich — ebenso wie die Anzahl der Verspätungen oder Totalausfälle.
Nach einer gewissen Zeit begann ich, fatalistisch einfach damit zu rechnen, dass eine Minute vor der geplanten Einfahrt des Zuges eine lapidare Ansage käme «We regret, the 8:45 to Herne Hill is cancelled» oder so etwas. Meist kam dann eben die Begründung, «Due to railway works» war da eher langweilig, gelegentlich proklamierte ein kreativer Mensch dann ein «due to fire in Streatham» oder im Hochsommer ein «autumn leaves on the trail». Kollegen erzählten auch von Schnee im August oder Eis im Juli (Pistazie?). Und der nächste Zug kam dann immer mindestens 30 Minuten später.
Umsteigen auf diesen Routen war prinzipiell ein fast tödliches Geschäft. Nach einer kurzen Zeit entwickelte ich einen besonderen Haß auf die Station Tulse Hill, an der ich oft wechseln sollte. Dort war es fast Regel, dass Anschlußzüge bei geringen Verspätungen weg waren, dafür die Folgezüge abgesagt wurden. Aber die große Spezialität waren in Tulse Hill nicht beschilderte Züge mit falschen Ansagen dazu — immer wieder musste ich Passagiere fragen, welcher Zug das hier denn nun sei, um im letzten Moment noch abzuspringen, da das Vehikel auf dem Weg ins absolute Nowhere war, weil gerade hier besonders viele Verzweigungen der Routen begannen. Des weiteren waren in Tulse Hill nie Fahrpläné aufgehängt — und auf meiner Route verkehrten die Züge nie mit gleicher Zielrichtung, d.h., wenn man hier einen verpasst hatten, konnte der nächste schon einen anderen Weg nehmen, der einen plötzlich an der nächsten Streckengabelung nach Osten trug, obwohl er vielleicht am Ende am gleichen Endziel landete. Mündliche Kommunikation mit Mitreisenden war auch hier die einzige Variante, die wenigstens eine Sicherheit um 50% erzielte.
Auch das Bus-​System war nicht frei von diesen Teilzeit-​Kollapsen. Ich erinnere mich an einen Morgen, an dem auf der Wimbledon-​Bahnroute nichts mehr ging («Fire, Fog, rain and peasants on the line») und ich trickreich versuchte über Clapham quer zu rochieren — um dort eine Stunde keinen der sonst so frequenten Doppelstockbusse zu sehen — bis dann endlich und tatsächlich sechs (!) Busse der Linie in einer Reihe vorfuhren und deren Fahrer behaupteten, sie alle hätten so lange im Stau gestanden, dass sie sich alle gegenseitig eingeholt hätten. Nun ja, Glaubwürdigkeit ist eine gewisse Variable, die sehr variabel wird, wenn man lang genug in London war.
Auch der Zug nach Stansted ist anders als von PJebsen gesehen, in keinem Fall eine immer verlässliche Grösse. Einmal nahm ich den allerersten morgens gegen 6 Uhr — um dann hinter Seven Sisters aus unerfindlichen Gründen über eine Stunde auf der Stelle zu stehen. Ein Bahnbeamter behauptete hinterher, der vorhergehende Zug wäre in der nächsten Station zusammengebrochen — auch nicht glaubwürdig, da es ja keinen vorher gehenden Zug gab. Als ich in Stansted aus dem Zug sprang, sollte meine Maschine in 8 Minuten abheben. Ich sprintete in die Halle und schrie den Check-​In-​Leuten zu, sie mögen doch den Abflug aufhalten, da im Zug 90% der Passagiere gewesen seien. Sie waren so cool wie drei Tonnen Eis: Das sei kein Problem und quasi schon geschehen — es war sonnenklar, dass sie das anscheinend jeden zweiten Tag machten und vermutlich immer wieder ihren Spaß hatten, wenn Passagiere in