Domenig-Haus

Nicht kurz ist er, der Weg vom Vor– zum Nachkriegsexpressionismus. Von Simmering nach Favoriten führt er uns, hin zu Günther Domenigs frühem Hauptwerk in Wien, der 1979 fertiggestellten ehemaligen Zentralsparkassenfiliale. Zweifellos der «bedeutendste Bau der Grazer Schule», so Friedrich Achleitner, ein «Schlüsselbau der österreichischen Architektur der Gegenwart». Er muss es wissen. Im von gleichförmigen Nachkriegsbauten geprägten Favoriten ist der verstörenden Fassade jedenfalls jene Aufmerksamkeit sicher, die Domenig sich erhofft haben dürfte. Der in gedankenlosem Rationalismus erstarrten Formensprache der sechziger und siebziger Jahre sollte, wenigstens punktuell, Leben eingehaucht werden, expressiv, unkonventionell, lebendig. Und all das ist er, der Bau in der Favoritenstraße.
Mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft zwängt er sich in die Baulücke, umringt von nichtssagenden, seriell gefertigten Hausfronten, wie ein Ausrufungszeichen. Weder auf sie noch auf historische Vorbilder scheint er Rücksicht zu nehmen mit seiner stählernen, vielfach gefalteten Außenhaut, die sich unten, den Haupteingang schützend, zu einem dunklen Maul weitet. Aufmerksamkeit sucht sie, Kontroversen und, im Idealfall, den fruchtbaren Diskurs. Was darf, was soll, was muss Architektur sein, heute? Der reinen Praktikabilität setzt der Bau ein gerüttelt Maß Unzweckmäßigkeit entgegen. Nutzbarkeit und Phantasie. Beide sollen Raum finden im Hier und Jetzt. So wie hier. Nacktes Metall und Glas, rauer Beton. Träger, Leitungen und Metallbänder durchziehen den einstigen Sparkassenraum und rufen Assoziationen an den menschlichen Körper wach. Arteriengleich windet sich die stützenlose Treppe nach oben, umgeben von Heizungsrohren. Darunter, wild gestikulierend, Riesenhände, gut zwei Meter lang. Ein verstörendes Erlebnis. Und von Symmetrie keine Spur. Doch siehe da, es funktioniert. Auch so. Als Bank und als Ausstellungsfläche. Seit 2008 wieder in Form einer Kunstgalerie, die hier ihre Zelte aufschlug.
Das Ende naht und unser Arbeitgeber, ja der will Ergebnisse sehen. Wir beugen uns dem Druck und schreiten ein letztes Mal die Siegerlisten ab. Furchtlos und unerschrocken gehen wir dem Schlussstein entgegen, zwischen ihm und uns nichts als zwanzig maßgebliche Werke modernen Architekturschaffens in Wien. Unter ihnen, so muss es sein, das wunderbare Domineg-​Haus. Noch einmal sammeln wir Sachverstand und Urteilsgabe, weisen ihm, integer und unbestechlich wie eh und je, den ganz zweifellos hochverdienten dreizehnten Platz im Ranking zu, gratulieren herzlich und sagen Servus. Leise, wie es sein muss in Wien. Schön war’s, liebe Freunde, Kollegen, Wieneroberer, schön.
(Dieser Beitrag ist Teil der Serie «Wo in Wiens mit modernen Baukunststücken ausgiebig behübschten Straßen finde ich die beeindruckendsten, bahnbrechendsten und überhaupt maßgeblichsten Profanbauten der Moderne?». Nähere Infos und Hintergründe unter
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